Ranjit Hoskoté: Die Ankunft der Vögel.


EINE TOTE SPRACHE SPRECHEN


Ich vergreife mich an Sätzen, aschebedeckt,
flechtenüberwuchert; entfache wieder Tropen,
die die Bauern in ihre Küchenroste fallen ließen
mit enthülstem Korn und blauen Glasperlen,
als die Nordmänner auf roten Rossen einritten.

Nachsicht ist ein armer Vetter der Offenbarung.
Dem Zischen und Spritzen des Regens lauschen,
dem Knistern des Feuers zwischen den Worten,
in seltenen Formen des Munds meinen Atem äußern,

ist wie Ausschauhalten nach dir.

Die Nordwindrose blüht in alle Richtungen
auf der zerfetzten Karte, die ich aus der Kiste ziehe,
rings ein verborgener Magnet,
dessen Eiseninlay eine Krone umrahmt.

Ich breite die Kontinente auf einen Tisch
und lese dort von unserer Liebe,
nicht verloren, sondern übertragen,
ihre Kadenzen erneut erlernt
in anderen Ländern von anderen Zungen.

 
 

PHILOKTETES VERFLUCHT SEINE PEINIGER


Weil ich den Eiter aus der brandigen Wunde nicht stillen konnte,
setztet ihr mich aus. Ich wär eine Gefahr fürs Schiff, sagtet ihr,
dieses lumpengetakelte Wrack mit verrotteten Planken.
Wie dem auch sei, ich wogte mit den Wellen,
und ihr wißt ja, Philoktetes hielt durch:
Es gab Federwild zum Schießen und Beeren zur Speise.
Der Bogen war das einzige Saiteninstrument,
das ich auf der Insel hörte: Ich machte diese Musik, schlug die Harfe,
bis meine Finger bluteten. Das hielt ich zehn Jahre durch,
und heute werde ich hinunter zum Strand trollen,
um euer Wrack aus dem Schatten des Riffs zu schleppen
und eure Leichen aus den Brechern zu fischen.

 

DAS RIESENEICHHÖRNCHEN
Anuradhapura


Groß und reglos wie eine Jackfrucht, die gleich abfällt,
hing es minutenlang am Feigenbaum,
mit dem Kopf nach unten,
unbekümmert um die Schwerkraft
und das natürliche Recht des Körpers.
Pinselschwänziger Botschafter der höheren Äste:
sein Rücken nicht gesegnet mit dreifachen Streifen
von Ramas gnädigen Fingern, sein Starrblick
eine Kriegserklärung.

Es ignorierte Nußkerne und Kokosfleisch,
die wir hinhielten, wartete, daß wir zurückgingen,
wieder in den Bus stiegen, der uns hergebracht hatte.

Durch unsere getönten Fenster
sahen wir es die Rinde runterhuschen und springen,
die Vorderpfoten an die Erde geklammert,
die Nüstern geweitet für feindliche Gerüche.

Hinter seinem gesträubten Schwanz erhob sich der Stupa
kalkweiß, vollendet im Inneren unserer Augen,
blendend am Mittag.




"Die Ankunft der Vögel" von Ranjit Hoskoté, übersetzt und herausgegeben
von Jürgen Brôcan ist im Hanser Verlag, München 2006, erschienen.