Marianne Moore: Kein Schwan so schön.
Gedichte
VERGANGENHEIT IST GEGENWART
wenn äußeres geschehen
erschöpft
und der reim veraltet ist,
sollte ich umkehren zu dir,
Habakuk, wie damals in einer bibelstunde
als der lehrer vom ungereimten vers sprach.
er sagte - und ich glaube, ich wiederhole exakt seine worte:
"hebräische dichtung ist prosa
mit einer art
überhöhtem bewußtsein." ekstase bietet
den anlaß und der zweck bestimmt die form.
KEIN SCHWAN SO SCHÖN
"kein wasser so still wie die
toten fontänen von Versailles."
kein schwan,
mit dunklem blinden blick seitwärts
und gondelnden beinen, so schön
wie jener aus Meißner
porzellan mit reh-
braunen augen und gezähntem gold-
kragen zum zeichen, wessen vogel er war.
untergebracht im Louis Quinze
kandelaber-baum aus hahnkamm-
getönten knospen, dahlien,
seeigeln und immortellen,
sitzt er auf dem verzweigten schaum
glänzender skulptur-
blumen - gelassen und schlank. der könig ist tot.
Marianne
Moore: "Kein Schwan so schön. Gedichte."
Mit einem Nachwort von Elizabeth Bishop.
Aus dem Amerikanischen übertragen von Jürgen
Brôcan.
Urs Engeler Editor, Basel, 2001.