Gustaf Sobin: Das Taubenhaus
Textauszug:
In
der letzten Nacht seines Lebens träumte Guy Fallows von
Tauben. Die Tauben hockten im Windschatten der Firstziegel eines hohen,
mit Stuck verzierten Bauernhauses und schützten sich, so gut
sie konnten, gegen den strahlenden, unablässigen Mistral hoch
über ihren Köpfen. Zuweilen flatterte eine von ihnen
hinunter in den staubverwirbelten Hof. Dort besprühte sie sich
mit dem wenigen Wasser, das sie in einem der massiven kleinen Becken
fand, die verstreut umherstanden. Die Becken — aus
Feldsteinen gemeißelte Tröge — erinnerten
Guy Fallows sogar in seinem Traum an graue, schiefe Kürbisse.
Fasziniert schaute er zu. Er fühlte sich, als würde
er eine Privatvorstellung besuchen, ein exklusiver Einblick in
irgendeine mindere, bäuerliche Tätigkeit, die
jederzeit in etwas von tiefer Bedeutung umschlagen konnte. Ja, dachte
er plötzlich, diese flackernde Traumszene könnte
unangekündigt eine Tiefe annehmen — eine ungeahnte
Bedeutung — , die allein sie besitzt.
Während
er jetzt spähte, ein privilegierter Beobachter dieses Traums,
stieg die Taube — zitternd, hellweiß —
auf und erreichte wieder ihren Platz hoch oben zwischen den gefleckten
roten Schindeln. Dort schüttelte sie die letzten geraubten
Wassertropfen von ihren Federn. Die Tropfen, die in perfekten
Halbkreisen aus dem Taubenkörper wirbelten, fingen —
aufglühend — das letzte Licht des Nachmittags ein.
Nur für einen winzigen Augenblick schienen sie mitten in der
Luft zu gefrieren, wie dünne zinnoberrote Nadeln. Dann
verschwanden sie rasch, als wären sie verdampft, in die
zunehmende Dämmerung.
Die Presse urteilt:
„Das Taubenhaus", das im Original schon 1991 unter dem schillernden Titel „Dark Mirrors", dunkle Spiegel, erschienen ist, bettet eine doppelte Liebesgeschichte in die sinnlich stark aufgeladene Atmosphäre und Landschaft der Provence ein. ... Die präzise Konstruktion der verschiedenen Motive ... verrät deutlich den Lyriker Sobin, der berauschende, ja beinahe barock üppige Worte findet. Jürgen Brôcans Übersetzung folgt diesem Duktus mit sehr aufmerksamem Gehör und bewahrt die plastische Sprache, aber nimmt ihr, mit dem Einverständnis des Autors, etliches von ihrer störenden Manieriertheit. (NZZ)
Gustaf Sobin, Das Taubenhaus. Aus dem Amerikanischen von
Jürgen Brôcan. Berliner Taschenbuch
Verlag, Berlin 2003, 208 Seiten, 8,90 Euro.